Rivalisierende Kräfte, Rivalen, Duelle, Intrigen, Machtgier und moralische Dilemmata: Wenn das kein Stoff für eine TV-Serie ist. Im Bild Anna Maria Mühe als Dörte Helm in der Bauhaus-Serie «Die Neue Zeit». (Bild: Anke Neugebauer / ZDF)

Rivalisierende Kräfte, Rivalen, Duelle, Intrigen, Machtgier und moralische Dilemmata: Wenn das kein Stoff für eine TV-Serie ist. Im Bild Anna Maria Mühe als Dörte Helm in der Bauhaus-Serie «Die Neue Zeit». (Bild: Anke Neugebauer / ZDF)

TV-Serie «Die Neue Zeit»: Im Bauhaus steckt auch allerfeinster Shakespeare-Stoff

Der Regisseur Lars Kraume konzentriert sich für den TV-Sechsteiler «Die Neue Zeit» (Arte/ZDF) aufs Drama der Moderne. Warum ist da beim Fernsehen eigentlich noch keiner früher draufgekommen?

Jana Janika Bach
Drucken

Der Fokus liegt vornehmlich auf den Weimarer Anfangsjahren der Schule, die auch die Anfangszeit einer Weimarer Republik waren. Alles ist von Aufbruchstimmung umweht. Ein brodelndes Milieu, das künstlerische Innovationen hervorbrachte und in dem sich gesellschaftlicher Widerstand formierte. Schon in Filmen wie «Der Staat gegen Fritz Bauer» verarbeitete Lars Kraume deutsche Geschichte meisterlich. Nun hat sich der Regisseur das Bauhaus vorgeknöpft – die Schule, die nur vierzehn Jahre währte, aber bis heute als wichtiger Impuls der Moderne gilt und als erfolgreichster Kulturexportartikel Deutschlands des 20. Jahrhunderts gehandelt wird. August Diehl spielt in Lars Kraumes Bauhaus-Drama «Die Neue Zeit», einer Kooperationsproduktion von ZDF und Arte, sehr überzeugend Walter Gropius. Dieser gründete 1919 in der Klassikstadt Weimar die staatliche Schule für Gestaltung, die später nach Dessau und Berlin umsiedelte.

Angedacht sind zwei weitere Staffeln. Es brauche ausreichend Erzählzeit, so der Regisseur, um den Geschehnissen genügend Raum zu geben, auch den Meistern und Studenten, «alles legendäre Persönlichkeiten».

Bitte Platz nehmen auf Ikonen

Rivalisierende Kräfte, Duelle, Intrigen, Machtgier und moralische Dilemmata: Tatsächlich ist, was im Bauhaus steckt, allerfeinster Shakespeare-Stoff. Wieso das nicht schon viel früher in einer Fernseh- und Filmlandschaft aufbereitet wurde, ist erstaunlich. Weniger verwundert, dass sich in diesem Jahr gleich zwei Produktionen der berühmten Schule widmen – gerade in Deutschland wird das 100-Jahr-Jubiläum der Gründung, hochsubventioniert, bundespräsidial abgeschirmt, republikweit gefeiert.

Im Frühjahr wurde der ARD-Fernsehfilm «Lotte am Bauhaus» ausgestrahlt – mit mässigem Erfolg. Seine Macher wurden unter anderem dafür gescholten, das Bauhaus-Erbe bei missbräuchlicher Nutzung als hübsche Kulisse zur Folklore degradiert zu haben.

Dahinter fällt «Die Neue Zeit» jedenfalls nicht zurück, sie bietet ästhetisches Vergnügen in Reinform. Schon die erste Episode hält einiges für Bauhaus-Fetischisten bereit: Es ist das Jahr 1963, und eine Reporterin der «Vanity Fair» parkiert ihren Schlitten in Blau-Metallic vor dem «Gropius House» in Lincoln, im amerikanischen Teilstaat Massachusetts. Zum Interview wird zwischen Avantgardistischem von einst und auf den Möbelikonen von heute Platz genommen.

Dörte Helm (Anna Maria Mühe) und Walter Gropius (August Diehl) lernen sich bei einem Fest in Ittens Atelier besser kennen. (Bild: Julia Terjung / ZDF)

Dörte Helm (Anna Maria Mühe) und Walter Gropius (August Diehl) lernen sich bei einem Fest in Ittens Atelier besser kennen. (Bild: Julia Terjung / ZDF)

Charmant, aber hartnäckig bohrt die Journalistin nach. Wie äussert sich Gropius zum Vorwurf, weibliche Talente seien an seiner Schule unterdrückt worden? Was hat sich wirklich zwischen ihm und Dörte Helm (Anna Maria Mühe) zugetragen?

Was folgt, ist die Schilderung der Ereignisse im Rückblick.

Dass der Bauhaus-Direktor eine unlautere Liebesliaison zu einer Schutzbefohlenen unterhielt, zu der rebellischen Studentin Dörte Helm, die aus einem konservativen Rostocker Bildungsbürgerhaushalt stammte, bleibt ein Gerücht. Abwegig wäre das Ganze nicht. Die Macher von «Die Neue Zeit» fügen Fiktion und Fakten zu einer kurzweiligen Story zusammen, wo einst an der Schule über eine Affäre getuschelt und zur Untersuchung ein Ehrengericht eingesetzt wurde.

Kraume löst sein Versprechen durchaus ein, die frühe Weimarer Bauhaus-Zeit «erfahrbar» zu machen, emotional wie intellektuell. Gerade zu Beginn war die Schule ein Schmelztiegel an gestalterischen Ideen, politischen Strömungen und geistiger Gesinnung.

Dabei wird deutlich: Das Bauhaus gab es ebenso wenig, wie die Kunstschule eine Insel der Glückseligen war. Es drehte sich nicht alles um Freisinn, Weltoffenheit oder Selbstverwirklichung, die Studenten litten oft erbärmlichen Hunger. Meister wie der einer mystischen Sekte anhängende Johannes Itten, der im Bauhaus ein «Haus des weissen Mannes» sah, predigte ihnen das Erlangen von spiritueller Reinheit, etwa durch Spezialdiäten. Auch andere wichtige Köpfe der Gestaltungsschule, wie Theo van Doesburg, De-Stijl-Verfechter, treten auf.

Stilvoll entspannen: Dörte (Anna Maria Mühe, 2. v. l.) und Gunta (Valerie Pachner, r.) in der Yogastunde bei Itten. (Bild: Julia Terjung / ZDF)

Stilvoll entspannen: Dörte (Anna Maria Mühe, 2. v. l.) und Gunta (Valerie Pachner, r.) in der Yogastunde bei Itten. (Bild: Julia Terjung / ZDF)

Hier sind Besessene am Werk

Wobei auch «Die Neue Zeit» nicht ganz ohne Mythenbildung und Klischees auskommt, wo Bauhäusler nackt an Goethes Badestelle ins kühlende Nass springen oder sich bei Orgien vergnügen. Und den Doku-Anstrich, die eingefrorenen Bilder in Schwarz-Weiss, hätte es nicht gebraucht.

Klar, bei diesem Film waren schon Besessene am Werk. Der Afrikanische Stuhl von Breuer, Moholy-Nagys Fotogramme, die Webarbeiten Stölzls, Ittens Farbkreise oder Schlemmers Triadisches Ballett fügen sich in die Dramaturgie. An drei verschiedenen Orten wurde gedreht – Berlin, Weimar, Köln – Hunderte von Kostümen wurden gefertigt, über 3800 Komparsen waren im Einsatz, bei bis zu 180 Personen in einem Bild. Dabei gelingt es, drängende Fragen der Gegenwart aufzuwerfen, etwa, welche Richtung die Kunst einschlagen kann, wenn Politik oder Regierung die Farbe wechseln.

Die Rolle der Frau an der männlich dominierten Kunstschule will diese Serie aufzeigen. Denn die weibliche Perspektive sei doch die eigentlich interessante, sie enthalte eine doppelte Rebellion, «die Studentinnen waren Verfechter der Avantgarde und mussten sich innerhalb der Schule durchsetzen» (Kraume). Eine Achillesferse des Machwerks wird hier indes deutlich sichtbar, wenn man am Ende etwa über die reale Künstlerin Dörte Helm immer noch wenig weiss.

«Die Neue Zeit», 6 Folgen, bei Arte ab 5. September jeweils drei Folgen donnerstags um 20.15 Uhr; im ZDF ab 15. September, jeweils in Doppelfolgen sonntags um 22.15 Uhr.