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Wirtschaft "Bis es kein Zurück gibt"

Junckers Tricks in den langen Brüsseler Nächten

Seitdem es die Euro-Gruppe gibt, sitzt Luxemburgs Regierungschef ihr vor. Sein Ziel war es, die Währungsunion zusammenzuhalten. Mit ihm geht einer, der ihre Einheit als Geschenk versteht.
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Zum Abschied eine Distel: Vergangene Woche machte Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici seine Vorbehalte gegenüber Jean-Claude Junckers designiertem Nachfolger Jeroen Dijsselblom öffentlich, kritisierte ein ein fehlendes offizielles Bewerbungsverfahren, als wolle er das Amt des Chefs der Euro-Gruppe in einer Zeitung annoncieren.

Er forderte schriftliche Informationen über Ziele und Pläne des Neuen ein – und sprach zwischen all diesen Interviewzeilen doch nur über den Anspruch Frankreichs auf das letzte Wort. Es war das letzte Mal, dass eines der großen Mitglieder der Euro-Zone Juncker als Präsident der Mitglieder der Währungsunion ärgern konnte.

Die Währungsunion als Schicksal

Seine Amtszeit als Chef der Euro-Gruppe war in ihrer langen Endphase von der Bitternis geprägt, dass er die Euro-Länder, und gerade die Minister und Regierungschefs der großen unter ihnen, nur noch mit Mühe von Alleingängen abhalten konnte.

Juncker (58) konterte mit Frotzeleien und mit Spitzen, darauf abzielend, dass es weder Frankreich noch Deutschland, weder alleine noch gemeinsam seien, die über das Schicksal der Währung entschieden. Die Währungsunion als Schicksal, als Bestimmung all ihrer Teilnehmer, treu dieser Idee versah Juncker Amt und Aufgabe.

Dass Paris und Berlin zuletzt nicht einig waren in ihren Zielvorstellungen, machte das eher noch schwieriger, denn zurückstecken wollten weder die Bundesregierung noch Frankreichs Präsident. Mal tat Juncker also, als unterstütze er die fixe französische Idee von Euro-Bonds, mal wies er auf die Notwendigkeit solider Staatsfinanzen hin, und das alles nicht aus dem Willen heraus zu gefallen, sondern ganz im Sinne seiner eigenen Vorstellungen: Die Euro-Zone sei auf dem richtigen Weg, sagte der luxemburgische Premierminister Ende vergangener Woche. Das heißt aus seiner Position heraus und aus der Position seines Landes: auf Konsolidierungskurs, ohne dabei ein Mitglied zu verlieren.

„Grenze, hinter der meine Angst beginnt“

Die größte Leistung der Währungsunion unter seiner Amtszeit? Dass Griechenland noch im Euro-Raum sei, so beantwortete er zum Abschied die Frage. Juncker, Europäer einer Zeit, da Helmut Kohl noch Bundeskanzler war, hatte nie Zweifel daran, dass das Ausscheiden eines Mitglieds schlimmer sei als alle Finanzhilfen.

Warum? „Ich stoße dabei an die Grenze, hinter der meine Angst beginnt“, sagte er der „Welt“, als das Szenario eines griechischen Austritts oder Ausschlusses aus der Währungsunion im vergangenen Jahr akut wurde.

Das darf man heute noch zitieren, weil es einen Einblick erlaubt in die Art und Weise, wie Juncker sein Amt versteht und in seine Auffassung von der Europäischen Union. Es ist eine vorwärtsgerichtete, die Fehler beheben will, aber nicht auf Kosten der Einheit, die er als historisches Geschenk ansieht, als Erbe, mit dem die Heutigen nicht nach Belieben verfahren dürfen.

„Ich habe ein relativ genaues Bild, was das für Griechenland und die Griechen bedeuten würde, sehe aber nicht, was es für die Euro-Zone und die Weltwirtschaft bedeuten würde“, sagte er damals, im Februar 2012, über den Austritt Athens. Viel später im Jahr schloss sich die Bundeskanzlerin ihm an.

Teil des europäischen Inventars

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Junckers Glaube an die Euro-Zone ist auch die Frucht der Anstrengung, mit der er ihn erwarb. Nachtsitzungen, im vergangenen Jahr fast die Regel bei den Ministertreffen, leitete er – das sagt ein Kollege, der nicht minder hart zu sich selbst ist – mit eiserner Selbstdisziplin, mit allen gängigen und Tricks der Verhandlungsführung und seinen eigenen: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“ So hat er vor Jahren einmal die Entscheidungen im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs beschrieben, dem er auch angehört.

Er meinte explizit nicht die Bürger mit denen, die nichts verstünden, sondern seine Kollegen. Juncker konnte dies damals schon tun mit dem Bonus eines Mannes, der zum europäischen Inventar gehört: Seit die Euro-Gruppe als Institution existiert, seit 2005, führte sie immer nur einer, nämlich Jean-Claude Juncker.

Beim Aushandeln des zweiten Hilfspakets vom vergangenen Frühjahr war er mehrfach zwischen den Finanzministern und den gleichzeitig auch in Brüssel tagenden Vertretern der Finanzindustrie hin und her gependelt, um die Banker zu weiteren Zugeständnissen beim Forderungsverzicht zu zwingen – der Bedingung für eine Einigung auf weitere europäische Hilfen.

Juncker liest sehr genau, was über ihn geschrieben wurde, und hatte eine diebische Freude dabei, einen auf Fehler hinzuweisen: Viermal habe er in jener langen Nacht die Sitzung der Minister unterbrochen, nicht etwa dreimal, wie die „Welt“ geschrieben hatte.

Juncker scheidet in Frieden aus dem Amt

Juncker kann sein Minimalziel, ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone zu verhindern, als vorerst erreicht ansehen, und das lässt ihn in Frieden aus dem europäischen Spitzenamt scheiden.

Er erledigte es neben der Verantwortung zu Hause und aus der winzigen Kommandozentrale des Luxemburger Staatsministeriums heraus: Der Pförtner öffnete angemeldeten Besuchern ohne Aufhebens die Tür, vor der Junckers Wagen parkte, ein Saab aus den besseren Zeiten der Marke, bat herein und brachte Kaffee.

Er wird sich künftig weniger mit europäischen, mehr mit Luxemburger Themen befassen. Nicht, dass die immer angenehmer wären: Derzeit beschäftigt ihn zu Hause eine Geheimdienst-Affäre, die in den Kalten Krieg zurückeicht, ohne dadurch an Brisanz zu verlieren – rein innenpolitisch allerdings.

Dijsselblom ist sein Gegenentwurf

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Wenn die Finanzminister der Währungsunion am späten Nachmittag in Brüssel zusammenkommen, wird Juncker wohl zum letzten Mal die Sitzung leiten. Der Nachfolger steht bereit, es ist der niederländische Ressortchef Jeroen Dijsselblom, der gerade, indem er einen Gegenentwurf zu Juncker darstellt, dessen Qualitäten hevorhebt. Dijsselblom ist 46, erst seit November im Ministeramt. Juncker war schon Premierminister, als es die DDR noch gab.

Juncker musste sich oft ärgern über die Euro-Länder. Dijsselblom aber ist für Frankreich Teils eines Geschäfts, das auch den Agrarhaushalt der EU einschließt. Und Deutschland hat nichts gegen ihn, weil für alle anderen potenziellen Kandidaten weniger spricht. Oder zumindest nicht mehr.

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